Seestadtpresse Bremerhaven – Überblicke geben und Zusammenhänge herstellen ist eine der zentralen Aufgaben des Journalismus. Gleichwohl wird ein solches genaues Hinsehen und Abwägen gerne beiseite geschoben, wenn es um auffällige Schaumschlägerei gehen soll.
Ein Beispiel dafür lieferte jüngst der journalistische Haudruff der Nordsee-Zeitung, als er die Bremerhavener Frenssenstraße als „Adresse mit Ekelfaktor“ bezeichnete. Der Schriftsteller Gustav Frenssen sei „ein überzeugter Antisemit und Unmensch“, hieß es in der Nordsee-Zeitung vom 8. Februar 2012.
Genaues Hinsehen? Abwägen? Das ist nicht Sache eines Haudruffs. Er will plakative Holzschnitte ohne jegliche Differenzierung. Schade eigentlich, denn am Beispiel Frenssens wäre manches zu lernen.
Die Benennung der Frenssenstraße erfolgte im Jahre 1925, also lange Jahre vor Beginn der Nazi-Zeit. Im Jahre 1933 war der 1863 geborene >>>Gustav Frenssen bereits 70 Jahre alt.
Gustav Frenssen war in der Kaiserzeit das, was man einen Heimatdichter von altem Schrot und Korn nennen kann. >>>Jörn Uhl“ ist wohl sein bekanntestes Buch. Es erschien im Jahre 1901 und schildert die Lebensgeschichte eines Mannes, der den Untergang seines großen väterlichen Bauernhofs durchleidet und dann sein Auskommen als Ingenieur findet – ein Stoff, der eine zahlreiche Leserschaft fand. „Jörn Uhl“ war innerhalb von sieben Monaten mehr als 100.000 mal verkauft worden. 1933 steuerte die Auflage auf die Millionengrenze zu.
Wer den Roman heute kritisch liest, kann erkennen, dass es sich um eine Spielart von Blut-und-Boden-Literatur handelt. Die Charaktere sind durch die Scholle geprägt, die Dithmarscher Bauern werden als „harter Menschenschlag“ einsortiert, die sozialen Unterschiede haben eine ganz natürliche Fundierung abseits aller Politik und so weiter.
In einer Neuausgabe des Buchs von 1982 (Verlag H. Lühr & Dircks, St. Peter-Ording) ist im Vorwort von einem „ländlichen Bauernroman“ die Rede, „wie ihn bürgerliche Leser lieben, je stärker sie sich der Stadt und ihrer neuen Arbeitswelt zuwenden müssen“.
Und weiter: „In seinen Vorzügen und besonders in seinen Schwächen ist ‚Jörn Uhl‘ ein Bestseller der Kaiserzeit, der nach Inhalt und Sprache diese Zeit dokumentiert. Der Leser gerät am Beispiel Dithmarschens in eine Zeitstimmung krisenreichen Übergangs. Frenssen hat 1901 niemals an späteren Rassenwahn und reaktionäre Verherrlichung der Bauernkultur gedacht.“
Dann folgt ein wichtiger Satz: „Aber als ‚Blut und Boden‘ zur Mode verkam, ließ er sich missbrauchen.“
Das macht deutlich: Gustav Frenssen ist mit Sicherheit kein Ruhmesblatt der deutschen Literaturgeschichte, aber ob er durch platte Dämonisierungen à la NZ-Haudruff ausreichend charakterisiert ist, scheint mir doch etwas zweifelhaft zu sein.
Oder sollte etwa der bekannte Bremerhavener Verleger Kurt Ditzen allein durch seine NSDAP-Mitgliedschaft von 1937 bis 1945 ausreichend ins rechte Licht gerückt sein?
Auf der >>>Netzseite „Dithmarschen-Wiki“ lassen sich ein paar Überlegungen zu diesem interessanten Fragenkomplex nachlesen. Dort wird sehr klare Kritik an Frenssen formuliert, insbesondere über seine rassistischen Äußerungen, aber es wird ebenfalls deutlich gemacht, dass „Frenssen in seiner Person und in seinem Werk nicht auf seine nationalsozialistischen Anschauungen eingeschränkt“ werden könne und dass eine offene Diskussion über eine solche Straßenbenennung von zentraler Bedeutung sei.
Was ich damit sagen will: Selbstverständlich ist Frenssen kein besonders vorbildlicher Mensch, der mit einem Straßennamen geehrt werden muss. Es gibt gute Gründe, diese Straßenbennnung zurückzunehmen.
Wenn aber ein Journalist meint, mit dem Stempel „Adresse mit Ekelfaktor“ seien bereits alle Fragen ausreichend beantwortet, dann halte ich das für deutlich zu kurz gegriffen.
Und dann komme ich leicht ins Grübeln, ob ich vielleicht doch lieber in einer Frenssenstraße als in einer Klaus-Haudruff-Straße wohnen möchte…